Tagebuch

Diary

In Erinnerung an Felix Wiesner

Verlag die Waage


Mai  2005

Claudia Wiesner,  Felix Wiesner,  Hai-Yen Hua  und Verena Wiesner

in Wien 1983


„Die wirkliche Prüfung des Menschen ist nicht, wie er die Rolle ausfüllt, die er sich selber zugedacht hat, sondern wie er jene ausfüllt, die im das Schicksal zuweist.“

Diesen Mai haben wir unseren guten Freund Felix M. Wiesner, geboren am 22. Jan 1920, gestorben am 07. Mai 2005, zu Grabe getragen.

Felix ist in jeder Hinsicht ein außergewöhnlicher Mensch gewesen. Er vereinte österreichischen Charme mit schweizerischer Gründlichkeit, tiefes Wissen über die europäische Literatur mit intuitivem Erfassen der chinesischen Kultur. Wenn man dies tut, muss man natürlich ein Freigeist und Weltbürger sein!

Sein Lebenswerk war zweifelsohne der Verlag „Die Waage“, der klassische chinesische Literatur übersetzte und herausgab. Dieser wurde im Jahr 1951 gegründet. Am besten lesen Sie in der Laudatio zu seinem 70. Geburtstag wie provozierend klassische chinesische Literatur im Umfeld des Nachkriegseuropas wirkte und wie vielfältig die Aktivitäten des Verlags waren.

Felix ist uns Freund und intellektueller Gesprächspartner, Vorbild und Erzieher gewesen. Wir werden ihn in dankbarer Erinnerung behalten.


Eckhard Ströfer

Djin Ping Meh -  Schlebenblüten in goldener Vase -


Ein Sittenroman aus der Ming-Zeit aus Ausgabe von 1755

Übersetzt von Otto und Artur Kibat. Zwei Geschäftsmänner in China während der Zeit des zweiten Weltkrieges. Nach der Rückkehr nach Deutschland haben sie Sinologie studiert und das Buch übersetzt und dafür über 30 Jahre gebraucht. Die Veröffentlichung haben beide Brüder leider nicht mehr erlebt.

Mirimiringan


Hans Egli 1989

Hans Egli hat jahrelang Tonbandaufnahmen von Märchenerzählern auf Taiwan und in den Inselländern des Pazifik gemacht. Die 100 wichtigesten und verbreitetsten der von den Ureinwohnern Paiwans gewonnenen Mythen und Märchen sind hier übersetzt und in große Zusammenhänge gebracht.


Umgang mit Chrysanthemen

Deutsche Übersetzung von Dr. Gottfried Rösel 1987


80 von über 500 Erzählungen "Schöne Geschichten aus, über und zwischen dem Jenseits und dem Diesseits" von den ersten vier Büchern aus der Sammlung Liao-dschai-dschi-yi von Pu Sung-Ling (1640-1715) Rösel hat für die Übersetzung 9 Jahre gebraucht.

Laudatio zum 70. Geburtstag     


Rainer Diedrichs, ehemaliger Leiter der Informations- und Pressestelle der Zentralbibliothek Zürich; 22.Januar 1990


Auf den Geburtstag des Verlegers hin erscheint Band 2 der Gesamtausgabe der 500 Geister- und Liebesgeschichten von Pu Sung-ling in 5 Bänden. Damit zeichnet sich der zweite weltliterarische Höhepunkt im Rahmen der bald 20 Bände umfassenden Bibliothek chinesischer Romane ab – nach der ersten Gesamtausgabe des Romans Djin Ping Meh in 6 Bänden von 1987. Drei Gründe zum stolzen Rückblick!


Wiesner wurde 1920 in Wien geboren. Seine Mutter kam aus einer K. + K. Offiziersfamilie niederen Adels. Ihr Vater war General der Infanterie und im 1. Weltkrieg Vorsteher des Kriegsfürsorgeamts in Wien. Sein Vater entstammte einer begüterten Großbürgerfamilie aus Südösterreich. Sein Urgroßvater war Ferdo Livadic (Livada = kroatisch Wiese), ein bedeutender Musiker, der neben Opern und Konzerten auch die kroatische Nationalhymne komponierte und bis heute hoch geehrt ist. Wiesners Großvater beschloß, aus reiner Liebe zum Ferienland Schweiz, sich in Zürich einzukaufen. Im Bürgerbuch der Stadt Zürich von 1895 findet er sich erstmals aufgeführt mit Gattin, 3 Söhnen und einer Tochter. Der älteste Sohn Edgar, Wiesners Vater, nahm diese Staatsbürgerschaft ernster als die jüngeren Geschwister. Er kam 1906 zur Rekruten- und 1907 zur UO-Schule nach Zürich und rückte 1914 auch zur Grenzbesetzung ein. 1926 wagte er es, den Miseren der Inflation und Krise in Rest-Österreich zu entfliehen und in Zürich eine neue Existenz aufzubauen. 1930 ließ er seine Familie, Frau und 2 Kinder, nachkommen. Felix war 10 Jahre alt, als er seiner bis dahin unbekannten Heimat begegnete.


Er besuchte 2 weitere Jahre hier die Volksschule, das Literargymnasium und die Universität, wo er 10 Jahre lang (davon 5 Kriegsjahre) zuerst Chemie, dann Germanistik, vergleichende Literaturwissenschaft, russische Sprache, indische Philosophie bei Emil Abegg und Religionsgeschichte studierte. 1947 trat er als Lektor beim Manesse Verlag ein. Ab 1950 begann er für die Verlage Arche, Diogenes, Walter, Bucher, Scherz, Ringier u. a. und für seine Waage den schweizer Buchhandel als Vertreter zu bereisen. Mit den dabei verdienten Provisionen finanziert er bis heute seinen Verlag.

Der Verlag "Die Waage" wurde von Felix M. Wiesner zusammen mit dem erfahrenen Geschäftsmann C.A. Drenowatz 1951 als Einzelfirma gegründet. Dessen spätere Sammlerfreude an chinesischen Rollbildern wurde von Wiesner entscheidend angeregt und ist im Rietberg-Museum verewigt.


Die Waage wünschte sich der Verleger geprägt vom eignen hohen Anspruch literarischer und weltanschaulicher Art und vom redaktionellen und bibliophilen Perfektionismus. Das konnte keine umfangreiche Produktion ergeben... Der Name der Waage war Programm: im Sinne der chinesischen Yin-Yan-Polarität sollten sich Werke des Westens und Ostens, der intellektuell-rationalen und der spirituell-frommen Weltdeutung ergänzen und die labile Harmonie eines geläuterten Taoismus aufscheinen lassen. Damit war in unserer lebensgefährlich patriarchalen Eindimensionalität nicht Subversion, vielmehr Superversion: Emanzipation von Frau und Mann, Befreiung, Kreativität und immer wieder Lesefreude angestrebt.


HICA

Felix M. Wiesner begeht am 22. Januar 1990 seinen 

  1. 70.Geburtstag. Sein Verlag Die Waage,

den er 1951 gründete, tritt ins 40. Lebensjahr.




Dieser kühne Anspruch stieß jahrzehntelang auf zwei Widerstände: im Westen auf kleinbürgerliche Moral und wütende Intoleranz, im Osten auf die konfuzianische Mißachtung aller Lese- und Lebensfreude als populäre Ungehörigkeit. Beides hatte böse Folgen.

Die ersten 4 Waage-Titel von 1952 waren programmgemäß: 2 intellektuell-rationale: Goethes genialisch-frecher „Reinecke Fuchs“ und Voltaires begeisternder Roman „Die Prinzessin von Babylon“. 2 Titel waren spirituell-fromm: Ernst Benz´ „Russische Heiligenlegenden“ und die taoistische Legende „Blumenzauber“. Es folgten so allmählich 23 Bücher der Waage mit zwei besonders erfolgreichen Höhepunkten und vielen Luxusausgaben von privater Hand.

Ende der Fünfzigerjahre begann die zweite Buchreihe der Bibliothek chinesischer Romane, freilich gleich 1959 mit dem zweiten Titel spektakulär: mit dem aufgezwungenen Prozeß und der Verbrennung der ganzen Auflage des Jou Pu Tuan 1961. Ein zweiter Prozeß 1971-74 um den Roman Dschu-lin Yä-schi wurde zwar – nochmals vor Bundesgericht – gewonnen und machte, wie der erste, Rechtsgeschichte in der Schweiz – was alle Juristen hierzulande wissen. Der Verleger freilich sah nach 6 Jahren Zensurprozessen mit schweren Zeiten- und Geldverlusten das Wort Jan Palockas bestätigt: Die wirkliche Prüfung des Menschen ist nicht, wie er die Rolle ausfüllt, die er sich selber zugedacht hat, sondern wie er jene ausfüllt, die im das Schicksal zuweist.

Der juristische Vorwurf der Unzüchtigkeit gegen einen buddhistischen und einen taoistischen Roman aus Altchina machte klar, wie unerbittlich ernst man „hoch oben“ bei uns die Gefahr der Emanzipation vom Patriarchat und seinen „Werten“ der Ungeschlechtlichkeit und Lustfeindschaft nahm. Die Verbrennungs- und Vernichtungswut der Zensurbehörde erzwang vom Verlag die Teilemigration nach Hamburg und eine Katakombenexistenz für Jahre in der Schweiz.

Die weltliterarischen Glanzstücke der ersten 10 Bände der Bibliothek chinesischer Romane fanden aber wegen ihrer volkssprachlichen und meist anonymen Herkunft auch bei den meist konfuzianischen überzeugten Orientalisten kaum Wertschätzung und daher auch kaum Beachtung in der Presse. So blieben die schön gepflegten Erstausgaben der Waage jahrelang schwer verkäuflich und kamen erst als billige Lizenz- und Taschenbuchausgaben zu hohen Auflagen und verdient weiter Verbreitung – ohne Publizität weiterhin!

Die folgenden Bände von Pu Sung-Ling sind die quicklebendig-genial erzählten Totenbücher der Chinesen. Sie zeigen uns verführerisch eine Möglichkeit der Deutung auch unseres menschlichen Lebens im offenen Raum zum Tod und Wiederkommen, die wiederum höchst unkonventionell sein muß. Cave inquisitionem!

Die Ausstellung in der Zentralbibliothek soll all dieses Verlegerschicksal so gut als möglich dokumentieren. Habent sua fata libelli. Futura latent.

Zu Anfang meines Studiums an der Universität von Zürich 1975 hat mir Professor Wolfram Eberhard, ein berühmter Ethnologe und Sinologe der Berkley-University, seinen Verleger Felix Wiesner vorgestellt. Ab diesem Zeitpunkt entwickelte sich eine tiefe Freundschaft mit seiner ganzen Familie, zwischenzeitlich über vier Generationen hinweg.

Felix und Verena Wiesner waren meine Lehrer, Freunde und Familie, die mir die europäische Kultur und Lebensweise näher brachten. Ihnen habe ich sehr viel zu verdanken und werde sie immer in meinem Herzen tragen.


Hai-Yen Hua